Positionen der LAG zur Flüchtlingssozialarbeit

1. Grundsätze

Laut der internationalen Definition Sozialer Arbeit bestehen die Kernaufgaben der Profession in der Förderung des sozialen Wandels, der sozialen Entwicklung, des sozialen Zusammenhalts sowie in der Ermächtigung und Befreiung von Menschen[1].

Als grundlegende Prinzipien werden soziale Gerechtigkeit, die Menschenrechte sowie gemeinsame Verantwortung und der Respekt für Verschiedenheiten definiert.

Die folgenden Ausformulierungen von Fachstandards in der Flüchtlingssozialarbeit müssen also als ein Transfer dieser Grundsätze in das Arbeitsfeld verstanden werden.

Flüchtlingssozialarbeiter*innen achten die Autonomie ihrer Klient*innen bei der (Weiter)Entwicklung ihrer individuellen Lebensperspektiven und Bewältigung alltäglicher Herausforderungen. Zudem setzen sich Flüchtlingssozialarbeiter*innen aktiv und selbstreflexiv mit ihrer eigenen beruflichen Rolle auseinander. Dies umfasst u.a. die stete Reflexion der Arbeitsbeziehung zu den Klient*innen sowie der institutionellen Eingebundenheit der eigenen Tätigkeit und der daraus resultierende Machtverhältnisse. Ein sensibler und kritischer Umgang mit Macht und Machtstrukturen sowie das Einstehen gegen Willkür, Rassismus und Unterdrückung sind Grundsätze, welche sich aus ihren ethischen Standards auch für die Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen unmittelbar ableiten.

Dies umfasst auch eine professionelle Haltung, welche die Würde und Persönlichkeit jedes Menschen, unabhängig von dessen Herkunft, Hautfarbe, Religion, sozialer Stellung, politischer Überzeugung, Geschlecht, Alter oder sexueller Orientierung achtet und schätzt.

2. Zielgruppen der Flüchtlingssozialarbeit

Flüchtlingssozialarbeit arbeitet mit Menschen, welche sich durch Flucht- und (erzwungene) Migrationserfahrungen in Lebenslagen wiederfinden, in welchen sie zu Adressat*innen Sozialer Arbeit werden.

Die Zielgruppe ist geprägt von Vielfalt und nicht statisch in ihrer Zusammensetzung. Flüchtlingssozialarbeit unterstützt Menschen unterschiedlichster Lebens- und Sozialisationserfahrungen. Die aktuellen Lebensrealitäten werden stark vom jeweiligen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Status beeinflusst.

Zur Zielgruppe gehören u.a.:

  • Geflüchtete in unterschiedlichen Wohnformen (bspw. zentrale oder dezentrale Gemeinschaftsunterkünfte; privater Wohnraum)
  • Besonders schutzbedürftige Personen gemäß EU Richtlinie 2013/33/EU Art. 21
  • Geduldete Personen, illegalisierte Menschen
  • Geflüchtete im Rechtskreiswechsel in Zusammenarbeit mit den Migrationsfachdiensten
  • Anwohner*innen, Vereine oder Organisationen in der Lebens- und Wohnumgebung

3. Wirkungsziele der Flüchtlingssozialarbeit

  • Selbstbestimmung, Partizipation und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen sind zentrale Ziele der Sozialen Arbeit, so auch der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten.
  • Flüchtlingssozialarbeit verfolgt die Sicherung des persönlichen, sozialen und materiellen Wohlergehens ihrer Klient*innen. Dies umfasst u.a. dieRealisierung ihrer vollen gesellschaftlichen Teilhabe, Sicherheit und Entfaltung, den gleichen Zugang zum Wohnungs-, Arbeits- und Konsummarkt, die selbstbestimmte Unterbringung sowie die Zugänge zu sozialer Unterstützung und einer umfassenden und uneingeschränkten Gesundheitsversorgung ab dem ersten Tag.
  • Flüchtlingssozialarbeit unterstützt die individuelle Entwicklung. Dabei geht es u.a. um die Förderung von Bildung, Aus-, Fort- und Weiterbildung; den Zugang zu Möglichkeiten zum Spracherwerb, die Anerkennung von Lebenserfahrung und vorhandenen Kompetenzen der Klient*innen sowie die Förderung der Aufnahme selbstgewählter Beschäftigungen.

Zur Erreichung dieser Ziele ergreifen Flüchtlingssozialarbeiter*innen überall dort Partei, wo diesen Ansprüchen gesellschaftliche Rahmenbedingungen entgegenstehen.

Zeitgleich leistet die Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen so einen Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

4. Aufgaben der Flüchtlingssozialarbeit

  • Beziehungsarbeit; Aufbau eines Vertrauensverhältnisses als Grundlage für die Zusammenarbeit mit Klient*innen
  • Kennenlernen individueller Bedarfslagen der Klient*innen und gemeinsame Entwicklung von Unterstützungszielen
  • Unterstützung bei der (Weiter-)Entwicklung von Lebensperspektiven
  • Unterstützung der Zielgruppen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte
  • Koordination und Steuerung von Hilfeangeboten
  • Erstorientierung in der Aufnahmekommune
  • Allgemeine soziale Hilfestellungen und Beratung
  • Abbau von Hemmnissen im Sozialraum und Verringerung sozialer Distanz
  • Prävention von und Intervention bei Konflikten
  • Gestaltung des Übergangsmanagements
  • Beteiligung an der (Weiter-)Entwicklung und Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten und Beschwerdemanagement
  • Öffentlichkeitsarbeit; Lobbyarbeit
  • Qualitätssicherung
  • Kooperation und Vernetzung im Gemeinwesen
  • allgemeine Verwaltungsaufgaben
  • Kooperation mit Ämtern und Behörden
  • Projektarbeit und Koordination ehrenamtlicher Tätigkeiten

5. Qualitätssicherung

Bezüglich der Finanzierungsverantwortung des Arbeitsfeldes garantiert der Freistaat Sachsen eine flächendeckende und bedarfsgerechte Flüchtlingssozialarbeit, sowohl durch die Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel als auch durch notwendige Bildungsangebote. Um Flüchtlingssozialarbeit weiter personell und fachlich auf hohem Niveau zu ermöglichen, benötigt es u.a. eine Überleitung von einer Projekt- in eine Regelfinanzierung.

Zudem benötigt Flüchtlingssozialarbeit folgende Rahmenbedingungen, um die Qualität ihrer Arbeit gewährleisten zu können und ihre Ziele zu erreichen

I. Strukturelle Ebene

  • Wahrung des Subsidiaritätsprinzips bei der Vergabe von Aufträgen
  • Planungssicherheit (Regelfinanzierung; langfristige Verträge)
  • Personalschlüssel 1:50
  • Personalschlüssel berücksichtigen besondere Bedarfslagen der Klient*innen (u.a. gesundheitlich beeinträchtigter Menschen; junger Menschen etc.)
  • Personalschlüssel berücksichtigen die lokalen, kommunalen Gegebenheiten (ländlicher bzw. urbaner Raum)
  • Mitfinanzierung von Leitung, Assistenz und Weiterbildung
  • Berücksichtigung finanzieller Bedarfe für Sachkosten
  • Einhaltung von Datenschutzstandards
  • Grunddokumentation, Statistik
  • Einrichtung einer Ombudsstelle
  • Etablierung eines modularen Weiterbildungsangebots zur Grund- bzw. Weiterqualifizierung in der Flüchtlingssozialarbeit

II. Trägerebene

  • Konzeption, Werte und Leitbild des Trägers
  • Personalsicherung und -entwicklung
  • Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung
  • Gewaltschutzkonzeption
  • Implementierung eines Beschwerdemanagements
  • Finanzielle und zeitliche Ressourcen für:
  • Aus-, Fort- und Weiterbildung
  • Supervision
  • Netzwerk- und Lobbyarbeit, Kooperation

III. Ebene der Mitarbeiter*innen

  • Grundqualifikationen:
    • abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium in einer der folgenden Fachrichtungen:
  • Soziale Arbeit
  • Sozialpädagogik
    • Übergangsweise in (Weiter-)Qualifizierung befindliche Mitarbeiter*innen
    • bei Eignung auch andere vergleichbare Abschlüsse (wie bspw. Psychologie, Erziehungswissenschaften)
    • Bestandsschutz für langjährige Mitarbeiter*innen der FSA
  • Jene Mitarbeiter*innen erwerben Grundqualifizierung über modulare Weiterbildungsangebote
  • Flüchtlingssozialarbeiter*innen verfügen zudem über weiterführende Qualifikationen oder erwerben diese über Fort- und Weiterbildungen:
    • Sprachkompetenzen (mindestens eine weitere Sprache)
    • Rassismuskritische Weiterbildungen
    • Kenntnisse im Asyl- und Aufenthaltsrecht
    • Kennnisse im Sozialrecht (u.a. SGB II; AsylbLG; SGB VIII; SGB XII)
    • Beratungskompetenzen; Kommunikations- und Moderationskompetenz

Flüchtlingssozialarbeit fühlt sich außerdem folgenden Grundsätzen verpflichtet:

IV. Ethische Standards

  • Berufsethische Standards Sozialer Arbeit, u.a.:
  • Global Social Work Statement of Ethical Principles (vgl. IFSW; 2018)
  • Berufsethik des deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit (vgl. DBSH, 2014)
  • Menschenrechtsabkommen (sowohl auf internationaler, als auch regionaler Ebene), u.a.:
  • Sozialpakt (ICESCR)
  • Anti-Rassismus-Konvention (ICERD)
  • Frauenrechtskonvention (CEDAW)
  • Kinderrechtskonvention (CRC)
  • Behindertenrechtskonvention (CRPD)
  • Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
  • (…)

6. Ausblick

Flucht und Migration sind Erfahrungen, welche die Biografien vieler Menschen geprägt haben und auch künftig prägen werden – diese Erfahrungen anzuerkennen und sie in den gesellschaftlichen Alltag einzubinden, bleibt eine immerwährende, gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen kann hierzu auch künftig einen maßgeblichen Teil beitragen. Die fortwährende Professionalisierung und die damit einhergehenden Qualitätssicherung der Flüchtlingssozialarbeit birgt deshalb enorme Potenziale für eine Migrationsgesellschaft wie die hiesige – sowohl bezüglich der Stärkung individueller, menschlicher Ressourcen, als auch des gesellschaftlichen Zusammenhalts.


[1] vgl. IFSW/IASSW, 2014