Positionierung der LAG zur FSA-Vergabe im Landkreis Leipzig

04.05.2020

An die Kreisrätinnen und Kreisräte
des Landkreises Leipzig

Sehr geehrte Kreisrätin, sehr geehrter Kreisrat,

wir, die LAG FSA/MSA sind ein landesweites Netzwerk aus Fachkräften, Vereinen und Verbänden, die in der Sozialen Arbeit im Themenfeld Migration und Flucht tätig sind. Die LAG wurde im September 2019 gegründet. In ihr versammeln sich Praktiker*innen, die in den letzten 5 Jahren unter verschiedenen strukturellen Rahmenbedingungen in Sachsen umfassende Erfahrungen in der Arbeit mit geflüchteten Menschen gemacht haben. Wir sind ein Forum für fachlichen Austausch und setzen uns für die Profilierung und Professionalisierung der FSA in Sachsen ein.

Wir haben erfahren, dass im Landkreis Leipzig geplant wird, ab dem 01.01.2021 die Flüchtlingssozialarbeit ausschließlich in Trägerschaft des Landkreises durchzuführen. Aus fachlicher Sicht sehen wir es als sehr problematisch an, mit der Durchführung der Flüchtlingssozialarbeit keine externen oder freien Träger zu beauftragen. Wir raten daher dringend, diese Entscheidung zu überdenken und die FSA langfristig in freie Trägerschaft zu überführen.

Prinzipiell stellen wir nicht in Abrede, dass qualifizierte Mitarbeiter*innen auch in Anstellung bei einem öffentlichen Träger qualitativ hochwertige Arbeit leisten können. Aus unserer Erfahrung drohen aber gerade im Arbeitsfeld der FSA massive Konflikte, die langfristig große Schwierigkeiten mit sich bringen können. Wir verweisen hier zur Vertiefung auf das Papier „Das Subsidiaritätsprinzip – oder weshalb Flüchtlingssozialarbeit von freien und öffentlichen Trägern kooperativ und ‚auf Augenhöhe‘ geleitet werden muss“ vom Projekt „Wissenschaftliche Begleitung der Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen“. Dort werden die drohenden Konfliktlinien bei Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip gut nachvollziehbar aufgezeigt.

Die FSA in freier Trägerschaft hat sich in vielen Landkreisen und kreisfreien Städten als wichtiger Akteur bei der Integration Geflüchteter und auch bei der Entschärfung gesellschaftlicher Konflikte eingebracht und bewährt. Nach den Erfahrungen vieler LAG-Mitglieder gelang dies oft in einem erfolgreichen kooperativen Miteinander auch bei strittigen Punkten zwischen freien Trägern und den verantwortlichen Behörden. Hervorzuheben ist, dass freie Träger auf Ressourcen zurückgreifen können (z.B. Ehrenamt, Expertise und Erfahrungen), die bei öffentlichen Trägern in der Regel nur mit zusätzlichen Kosten zur Verfügung stehen. Die Konstellation der Trennung zwischen öffentlichem Träger als Auftraggeber und freiem Träger als Beauftragten führt zu sinnvollen Synergien und beugt Rollenkonflikten zwischen Mitarbeitenden innerhalb einer Institution (hier Ausländeramt) vor.

Flucht und Migration sind Erfahrungen, welche die Biografien vieler Menschen geprägt haben und auch künftig prägen werden – diese Erfahrungen anzuerkennen und sie in den gesellschaftlichen Alltag einzubinden, bleibt eine immerwährende, gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

In der FSA gelang in den letzten Jahren zunehmend eine Professionalisierung, die langfristig stabilisiert und gesichert werden sollte. Durch eine alleinige Übernahme der Trägerschaft durch den Landkreis sehen wir hier wichtige positive Entwicklungen gefährdet.

Sehr geehrte Kreisrätin, sehr geehrter Kreisrat, um langfristig eine qualitativ gute, professionelle soziale Arbeit im Interesse Schutzsuchender und der Gesellschaft zu gewährleisten und um Frustrationen und Interessenkonflikte der Flüchtlingssozialarbeiter*innen zu vermeiden empfehlen wir aus unserer fachlichen Sicht dringend, die FSA langfristig in freier Trägerschaft durchzuführen.

Für Rückfragen stehen wir zur Verfügung.

Herzliche Grüße

die LAG Flüchtlingssozialarbeit & Migrationssozialarbeit Sachsen

Presse zum Thema:

Die LAG sieht die Übernahme der Flüchtlingssozialarbeit durch das Landratsamt kritisch und hat sich entsprechend positioniert. Simone Prenzel erläutert die aktuelle Situation in der LVZ

Landkreis zieht Aufgabe komplett auf seinen Tisch / Kritik von den Linken – Von Simone Prenzel

Landkreis Leipzig. Die Flüchtlingssozialarbeit im Landkreis Leipzig wird neu geregelt. Wie Landrat Henry Graichen (CDU) informierte, übernimmt der Landkreis diese Aufgabe ab 1. Januar 2021 komplett. Nach einer missglückten Ausschreibung war 2018 die Entscheidung gefallen, in zwei Gebieten des Kreises die Flüchtlingssozialarbeit durch eigene Beschäftigte wahrzunehmen. Das betraf zum damaligen Zeitpunkt Beratungsstellen an den Standorten in Borna, Markranstädt, Böhlen, Rötha, Lobstädt und Colditz. An den Standorten in Grimma, Wurzen, Beucha und Naunhof war die Johanniter Unfallhilfe Leipzig tätig.

Zu dem Entschluss, die Ausschreibung für zwei Lose aufzuheben, hatte sich der Landkreis damals gezwungen gesehen, nachdem der Duisburger Sozialdienstleister Zof in die Schlagzeilen geraten war. Ein ehemaliger Geschäftsführer sollte nach damaligen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft rund zwei Millionen Euro Flüchtlingshilfe-Gelder veruntreut haben. 2019 schließlich musste Zof Insolvenz anmelden. Medienberichten zufolge waren rund 350 Mitarbeiter in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg von der Vereins-Pleite betroffen.

Der Kreis hatte die Kuh nur vom Eis bekommen, weil er seine eigene Ausschreibung aufhob und Asylbewerber und Geduldete fortan selbst betreute. Bereits 2018 hatte es allerdings auch Kritik an diesem Vorgehen gegeben. Grundsätze der Sozialberatung würden verletzt, argumentierten Vertreter des Runden Tisches Migration. Die ausführende Behörde könne nicht gleichzeitig die Interessenten der Klienten vertreten, lautete der Vorwurf.

Die Fraktion der Linken forderte deshalb im jüngsten Kreistag, alle drei Lose komplett neu auszuschreiben und die Aufgabe im gesamten Kreis wieder an freie Träger zu vergeben. „Dass wir vor zwei Jahren dem damaligen Prozedere zugestimmt haben, diente nur dazu, Schlimmeres zu verhindern“, so Linken-Kreisrat und Fraktionsgeschäftsführer Jens Kretzschmar. Mit ihrer Position sieht sich die Fraktion auf einer Linie mit der Kreisarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Diese kritisierte die Entscheidung ebenfalls. Christian Hesse, Vorsitzender der Kreisarbeitsgemeinschaft, erklärt dazu: „Bei einer dauerhaften Übernahme der Flüchtlingssozialarbeit durch den öffentlichen Träger kann es zu Konflikten innerhalb des freien ethischen Kontextes der Mitarbeiter und der Verpflichtung, sich der Handlungslogik des Arbeitgebers zu beugen, kommen.“ Der notwendige unabhängige Status der Betreuer wäre somit gefährdet, so Hesse.

Die Vertretung von Arbeiterwohlfahrt, Caritas, DRK, Diakonie und Paritätischem Wohlfahrtsverband gibt zu bedenken, dass Flüchtlinge oftmals negative Erfahrungen mit staatlichen Instanzen gemacht hätten. Demzufolge sei eine Betreuung durch gemeinnützige freie Träger eher angeraten. Auch die in Dresden beheimatete Landesarbeitsgemeinschaft Flüchtlings- und Sozialarbeit begehrt gegen die Landkreis-Entscheidung auf. Nur durch die Trennung von öffentlichem Träger als Auftraggeber und freiem Träger als Beauftragtem ließen sich Interessenkonflikte vermeiden, so deren Sprecher Marlene Christoph und Holger Simmat.

Graichen betonte, er sei dankbar, dass die Kreistagsfraktionen vor zwei Jahren diesen Weg so mitgetragen hätten. „Indem wir die Aufgabe jetzt komplett übernehmen, wollen wir auch sicherstellen, dass nicht wieder Sozialdienstleister zum Zuge kommen, mit denen es dann Probleme gibt.“

Aktuell, berichtete der Kreischef, seien die Flüchtlingszahlen weiter rückläufig. Lebten zu Jahresbeginn 2020 noch 1526 Asylbewerber im Landkreis, seien es Stand 1. Mai aktuell noch 1445. „Und wir gehen weiter von einer stagnierenden oder leicht sinkenden Tendenz aus.“